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21.5.2025

Rehhagel: "Der Fußball ist ein Ventil"

Otto Rehhagel ist eine Trainerlegende – dreimal deutscher Meister, dreimal DFB-Pokalsieger, Gewinner des Europapokals mit dem SV Werder Bremen und sensationell Europameister 2004 mit Griechenland. Als Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Sepp Herberger war der 86-jährige am Wochenende in der JVA Wuppertal-Ronsdorf zu Gast und hat sich dort ein Fußballturnier von Inhaftierten angeschaut. Im Interview spricht er über Fußball hinter Gefängnismauern, aber auch über Fußball bei ihm um die Ecke auf der Asche und in den großen Stadien der Welt.

Otto Rehhagel besuchte das Turnier um den Sepp-Herberger-Pokal in der JVA Wuppertal-Ronsdorf. (Foto: DFB-Stiftung Sepp Herberger/Carsten Kobow)

Herr Rehhagel, Sie waren am vergangenen Wochenende in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf. Häftlinge aus ganz Deutschland haben dort ein Fußballturnier ausgetragen. Sie sind für die Sepp-Herberger-Stiftung vor Ort. Warum ist Ihnen das wichtig?

Rehhagel: Schauen Sie sich an, mit welcher Freude und mit welcher Leidenschaft die Frauen und Männer dort Fußball spielen. Das zeigt mal wieder eindrucksvoll die Kraft, die der Fußball hat. Wenn der Ball rollt, sind die Sorgen und Nöte, die diese Menschen sicher haben, weit weg. Sie alle haben Fehler gemacht, aber sie haben meiner Meinung nach auch eine zweite Chance verdient. Wichtig ist, dass sie den Willen haben, diese Chance zu nutzen. Das habe ich ihnen in den Gesprächen auch immer wieder mit auf den Weg gegeben.

Welche Rolle kann der Fußball dabei einnehmen?

Rehhagel: Ich sehe den Fußball als Ventil. Hier können sie sich auspowern. Beim Fußball lernen sie, sich an Regeln zu halten und sich in eine Gemeinschaft zu integrieren, Teil eines Teams zu sein. Und der Fußball ist auch ein hervorragendes Mittel im Zuge der Resozialisierung. Sepp Herberger hat das früh erkannt. Er war 1970 erstmals in einer Haftanstalt zu Besuch. In der Stiftung stehen wir in dieser Tradition und setzen zusammen mit unseren Partnern sein Wirken fort.

Sie haben auch die große, weite Fußballwelt gesehen. Aber Sie kennen jedoch genauso die Fußballplätze bei Ihnen in Essen um die Ecke. Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der Amateurfußball?

Otto Rehhagel: Eine sehr große. Im Amateurfußball entstehen Freundschaften, die manchmal ein ganzes Leben lang halten. Zumindest ist das bei mir der Fall. Ich kann auch gerne ein konkretes Beispiel aus meinem eigenen Leben nennen: Ich habe nach dem Krieg für TuS Helene Altenessen gespielt. Noch heute treffe ich mich mit ehemaligen Mannschaftskollegen aus dieser Zeit an jedem ersten Dienstag im Monat dort auf der Anlage. Ich freue mich sehr auf diese gemeinsame Zeit.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre eigene Zeit im Amateurfußball?

Rehhagel: Direkt nach dem Krieg haben wir zunächst mit einem Stoffball auf der Straße gekickt. Vieles war zerstört. Ich weiß noch, dass wir aus Trümmerstücken unsere Tore gebaut haben. Das war eine sehr spezielle Zeit. Aber wir hatten viel Spaß. Später habe ich dann auch ganz klassisch Amateurfußball gespielt. Bis 1960 habe ich das Trikot des TuS Helene Altenessen getragen. Es war eine tolle Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Von dort aus ging es für mich zu Rot-Weiss Essen. Dort wurde alles dann schon deutlich professioneller.

Schauen Sie sich heute manchmal noch Spiele im Amateurfußball an?

Rehhagel: Natürlich. Wenn ich Zeit habe, bin ich gerne bei den Spielen des ETB Schwarz-Weiß Essen. An Pfingsten findet dort auch ein U 15-Turnier um den Otto-Rehhagel-Pokal statt. Das freut mich besonders. Insgesamt sollten wir alle denjenigen dankbar sein, die ehrenamtlich viel Zeit investieren, damit andere, vor allem Kinder und Jugendliche Fußball spielen können.

Beim Turnier in Essen wird Otto Rehhagel wieder persönlich den Pokal überreichen. (Foto: DFB-Stiftung Sepp Herberger/Carsten Kobow)


Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am Amateurfußball?

Rehhagel: Kameradschaft, Zusammenhalt. Man gewinnt zusammen, man verliert zusammen. Der Amateurfußball ist die Basis, er ist für alle da.

Sie sind einer der erfolgreichsten deutschen Trainer. Welche Trainer haben Sie besonders geprägt?

Rehhagel: Da könnte ich viele nennen. Ich hatte das Glück, Sepp Herberger noch persönlich kennenlernen zu dürfen. Er war eine besondere Persönlichkeit. Als ich in Kaiserslautern gespielt habe, war Gyula Lorant unser Trainer. Ihn kannte ich, weil er im WM-Finale 1954 für Ungarn auf dem Rasen stand. Das 3:2 unserer Mannschaft habe ich in einer Kneipe in Essen gesehen. Wir hatten noch keinen Fernseher zu Hause. Ich war 16 Jahre alt. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass Gyula Lorant später mal mein Trainer werden würde, hätte ich sicher nur mit dem Kopf geschüttelt. Ich werde niemals vergessen, wie Helmut Rahn, der wie ich aus Essen kommt, den Siegtreffer zum 3:2 erzielt hat. Plötzlich waren wir Weltmeister.

Die nächste Weltmeisterschaft steht im kommenden Jahr auf dem Programm. Wie sehen Sie die DFB-Auswahl aufgestellt?

Rehhagel: Es geht aufwärts. Es macht wieder Spaß, den Jungs zuzuschauen. Bundestrainer Julian Nagelsmann hat ja ambitionierte Ziele ausgegeben. Er will Weltmeister werden.

Ist das möglich?

Rehhagel: Warum denn nicht? Im Fußball ist immer alles möglich.

Wie bei Ihrem Gewinn der Europameisterschaft 2004 mit der griechischen Nationalmannschaft?

Rehhagel: Das war wahrscheinlich mein größter Erfolg. Die weltweite Aufmerksamkeit war unbeschreiblich. Noch heute treffen sich die Jungs, die damals den Titel geholt haben, regelmäßig in Piräus. Sie schreiben mir dann immer eine Nachricht: "Hallo Trainer, viele Grüße aus Piräus." Darüber freue ich mich sehr.

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