Kenth Joite war kürzlich als Schiedsrichter beim „Glaub an dich“-Cup im Einsatz, der unter anderem durch die DFB-Stiftung Sepp Herberger organisiert wird. So weit, so normal: Besonders wird die Geschichte allerdings dadurch, dass Joite seit seiner Geburt mit nur einem halben Herz lebt und deshalb körperlich eingeschränkt ist. Die Schiedsrichterei allerdings gibt ihm trotz vieler gesundheitlicher Rückschläge Kraft.
Kenth Joite hat für sich persönlich ein Motto entwickelt, das passender kaum sein könnte. Es lautet „Halbes Herz, volles Leben“. Was hat es damit auf sich? Kenth wurde im August 1990 mit einem schweren Herzfehler geboren, der allerdings erst vier Wochen später erkannt wurde. Die Prognose, die seine Eltern daraufhin erhielten, war niederschmetternd: Mit viel Glück, so hieß es, würde er die nächsten zwei Jahre überleben können. Aber Kenth ist ein Kämpfer. Auch dank einer komplizierten Operation konnte er alle Erwartungen übertreffen. Heute ist Kenth 32 Jahre alt. Der Herzfehler schränkt ihn weiterhin stark ein. Aber Kenth lebt – und am Wochenende ist er oft als Schiedsrichter im Württembergischen Fußballverband im Einsatz.
Leben ohne Fußball nicht vorstellbar
„Eigentlich liebe ich den Fußball. Aber wegen meines Herzfehlers kann ich leider nicht mit meinen Freunden kicken. Wenn ich einen Ball auf die Brust bekommen würde, könnte das tödlich für mich sein“, sagt Kenth. „Aber ein Leben ohne Fußball war für mich auch nicht vorstellbar. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, Schiedsrichter zu werden. Das ist eine herausfordernde Tätigkeit, mit der ich manchmal auch schon unschöne Erfahrungen gemacht habe. Grundsätzlich jedoch bin ich glücklich darüber, dass ich Spiele leiten und so doch Teil des organisierten Fußballs sein kann.“
Es ist noch gar nicht so lange her, da musste Kenth mal wieder die negativen Seiten kennenlernen. Der Vorfall, der einen sprachlos zurücklässt, geschah während eines Kreisligaspiels in Stuttgart. Eine Mannschaft war mit der Spielleitung Kenths nicht einverstanden. Die Anfeindungen spitzten sich im Laufe der Begegnung zu. Im Fokus stand dabei seine körperliche Behinderung. Aufgrund einer seiner vielen Operationen hat er einen krummen Rücken und schielt leicht. „Von der Bank und von den Zuschauern kamen dann Sprüche, die unter die Gürtellinie ginge. Ich habe Aussagen wie ‚Der schielt ja!‘ und ‚Der ist doch sowieso behindert!‘ zur Kenntnis genommen“, berichtet Kenth noch immer geschockt.
Beleidigungen wegen seiner Behinderung
Die Stimmung heizte sich weiter auf und nach Schlusspfiff eskalierte es. Am Ende blieb es nicht bei Beschimpfungen, sondern einige wurden sogar handgreiflich, wie Kenth erzählt: „Das ging so weit, dass ich in Begleitung von Ordner die Flucht ergreifen musste und in Richtung der Kabine gerannt bin. Dort angekommen habe ich die Tür verriegelt. Zuschauer und Spieler der Mannschaft, die sich benachteiligt fühlte, haben vor der Kabine gewartet. Es gab Drohungen. Ich habe Sprüche wie ‚Wir warten auf dich!‘ gehört.“ Erst später beruhigte sich die Situation wieder. Für Kenth war es trotzdem zu viel: „Hinterher bin ich im Auto heulend zusammengebrochen und habe erstmal eine Viertelstunde gebraucht, um mich zu beruhigen.“
Aufgrund dieses Vorfalls leitet er zunächst keine Seniorenspiele mehr. „Das tut mir persönlich sehr leid. Aber es ist die einzige Möglichkeit, um mich selbst zu schützen“, sagt Kenth. „Ich konzentriere mich nun erstmal auf Begegnungen im Nachwuchsbereich, im Inklusionsfußball und bei den Frauen. Dort geht es erfahrungsgemäß entspannter und respektvoller zu. Gleichzeitig ist es mir aber auch wichtig zu betonen, dass die Vorkommnisse während des Kreisligaspiels eine absolute Ausnahmen in meiner bisherigen Karriere als Schiedsrichter darstellen.“
Als Schiedsrichter beim „Glaub an dich“-Cup im Einsatz
Kenth war kürzlich auch beim „Glaub an dich“-Cup im Einsatz, den die DFB-Stiftung Sepp Herberger, der FC Bayern München und die „Glaub an dich“-Stiftung mit Unterstützung des Bayerischen Fußball-Verbandes ausgerichtet haben. Auf dem eindrucksvollen Trainingszentrum des Rekordmeisters unweit der Allianz Arena spielten rund 100 Kinder und Jugendliche mit und ohne Handicap im Modus „5 gegen 5“ miteinander Fußball. Vor Ort war den ganzen Tag über auch Nationalspieler Joshua Kimmich. „Das war einfach ein cooles Event in entspannter Atmosphäre“, erinnert sich Kenth. Proaktiv hatte er sich bei der Sepp-Herberger-Stiftung gemeldet und seine Unterstützung angeboten. „Ich liebe den Inklusionsfußball und reise dafür auch gerne durch Deutschland“, sagt er.
In der nun anstehenden Sommerpause wird er sich mal wieder in eine Reha-Maßnahme begeben müssen. Denn zu allem Überfluss leidet er nicht nur an einem Herzfehler. Inzwischen ist auch noch eine Lungenproblematik hinzugekommen, die ihm zu schaffen macht. Ende des vergangenen Jahres wurde auch noch Hodenkrebs bei ihm diagnostiziert. Er musste sofort operiert werden, um Schlimmeres zu verhindern. Eine Chemotherapie ist bei Kenth aufgrund seiner Vorerkrankungen nicht möglich. Deshalb muss er sich nun regelmäßig durchchecken lassen. Wenn es seine Gesundheit zulässt, hält er Vorträge oder berichtet aus seinem Leben.
„Ich bin ein Kämpfer. Ich will leben.“
„Zuletzt ist leider wirklich viel zusammengekommen und ich hatte echt zu kämpfen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Außerdem habe ich meine Frau, die mich immer unterstützt. Genauso wie meine Familie“, betont Kenth. „Und auch der Fußball und die Schiedsrichterei geben mir Lebensmut. Das mag sich komisch anhören, aber es ist wirklich so. Hinzu kommt, dass man als Schiedsrichter viel läuft und eine gute Kondition haben muss. Das sind für mich sehr wichtige Voraussetzungen, um möglichst beschwerdefrei leben zu können.“
Trotz aller Zuversicht und trotz allen Mutes sind die Prognosen der Ärztinnen und Ärzte, die ihn betreuen, nicht immer nur positiv. „Mir ist bewusst, dass ich nicht so leben kann, wie andere Menschen in meinem Alter. Während Corona beispielsweise musste ich mich extrem einschränken, weil eine Infektion für mich hätte tödlich ausgehen können“, berichtet Kenth. „Ich bin für jeden Tag dankbar, an dem es mir gut geht und an dem ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es mir vorstellen. Ich weiß, dass es auch sehr schnell vorbei sein kann.“
Auf die Prognosen der Ärztinnen und Ärzte gibt Kenth schon lange nicht mehr sehr viel: „Ich habe schon so oft gehört, dass ich höchstens so oder so alt werden könne. Aber ich bin noch immer hier. Ich bin ein Kämpfer. Ich will leben. Wenn es wieder einen Rückschlag gibt, werde ich erneut aufstehen. Ich habe jetzt schon viel mehr erreicht, als mir die meisten zugetraut hatten.“ Dabei hat ihm sicher auch seine Liebe zum Fußball geholfen.