Die Worte Simon Schönings machen Mut. „Wir bleiben hier dran“, sagt der Betreuer aus den Reihen des TuS Vorwärts von 1897 Augustfehn-Stahlwerk, angesprochen auf das Thema Antisemitismus. Der 27-Jährige nahm mit einer Gruppe von Jugendlichen an einer der Fußball-Ferien-Freizeiten teil, die im Verlauf der Sommerferien an sechs Standorten im Bundesgebiet von der DFB-Stiftung Egidius Braun auf die Beine gestellt werden. Für Schöning und die von ihm begleiteten Jugendlichen ging es in der Sportschule Grünberg in Hessen nicht nur ums Kicken, sondern auch darum, sich mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dazu gehörte auch der Workshop „Antisemitismus im Fußball“, der sich mit Ausgrenzung und Vorurteilen gegenüber Jüdinnen und Juden auseinandersetzte. Die Durchführung übernahm dort die Initiative „Zusammen1“, die sich für Vielfalt auf deutschen Sportplätzen stark macht.
„Die Jugendlichen haben das Thema gut aufgenommen und fleißig mitgemacht“, fand Schöning. Auch für die als Betreuer mitgereisten Erwachsenen sei es spannend gewesen, grundlegende Informationen über das jüdische Leben in Deutschland und die unterschiedlichen Formen von Antisemitismus zu erhalten. Der 14-jährige Paul, Freizeit-Teilnehmer von der JSG AGA, war angetan vom variantenreichen Workshop. „Man hat viel gelernt. Es wurde sachlich erklärt, sodass sich niemand unwohl gefühlt hat“, fand er. Ihm gefiel die Kombination von Bewegungsspielen und Information. Die rund anderthalb Stunden forderten Paul und die übrigen Teilnehmenden außerdem auf, ihre eigenen Erfahrungen einzubringen.
Konkrete Beispiele aus dem Fußballumfeld angesprochen
Diesen Ansatz verfolgte auch die gleichnamige Veranstaltung bei der Freizeit im Uwe Seeler Fußball Park in Malente. Den dortigen Workshop leiteten die Mitarbeiter der „Denkfabrik Schalom Aleikum“ Lorenz Hegeler und Massud Reza. Um Wahrnehmung und Erfahrungen der Jugendlichen abzurufen, galt es etwa, sich zur These zu positionieren, Fußball und Antisemitismus hätten nichts miteinander zu tun. „Außerdem haben wir mit den Teilnehmenden Szenarien in den Blick genommen, in denen sich Antisemitismus ausdrückt“, erklärt Referent Hegeler.
Die Macher der Initiative des Zentralrats der Juden in Deutschland haben für zwei Fußball-Ferien-Freizeiten eigens ein besonderes Programm konzipiert, um gezielt die zwölf- bis 15-jährigen Teilnehmenden anzusprechen, Information mit Austausch zu verbinden und immer wieder Anknüpfungspunkte zum Fußball zu finden. Dies gelang. So wurde etwa über einen Fall gesprochen, bei dem das Logo eines Vereins mit dem Davidstern übermalt worden war, um die Sportler des Klubs zu beleidigen. Aber auch der Umgang mit Hakenkreuz-Schmierereien in der Umkleidekabine wurde erörtert. Letztlich ging es darum, die Teilnehmenden für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren, ihnen aber auch Rüstzeug mitzugeben, um in Situationen alltäglicher Judenfeindlichkeit richtig reagieren zu können. Martin Biermann, Freizeitleiter in Malente, lobte den Ablauf: „Der Workshop war super, methodisch wurden die Jugendlichen gut abgeholt und aktiv miteinbezogen.“
Zahl der antisemitischen Vorfälle deutlich gestiegen
Wie drängend das Problem ist, machten jüngst die Ergebnisse des Bundesverbands Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) deutlich. 2023 wurden bundesweit 4.782 antisemische Vorfälle dokumentiert – 80 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 registrierten die Verantwortlichen einen sprunghaften Anstieg.
Vielfach, das macht Hegeler deutlich, geht es dabei nicht um direkte Angriffe oder Ausgrenzung. „Antisemitismus braucht nicht zwingend einen bestimmten Juden als Adressaten“, erklärt er. Beleidigungen, Schmierereien, Posts in sozialen Netzwerken diskreditierten Jüdinnen und Juden oftmals im Allgemeinen. Der Fußball bietet laut Hegeler Chancen, dem Antisemitismus entgegenzuwirken. So könnten sich Größen der Sportart klar gegen Judenhass und für gegenseitigen Respekt positionieren und mit ihrer Botschaft viele Menschen erreichen. An der Vereinsbasis biete sich zudem die Möglichkeit, dass sich Menschen unterschiedlichen Glaubens und Herkunft begegneten und Vorurteile und Grenzen in den Köpfen verschwänden. Daher sei man auch von der Wirkung und Bedeutung des Workshops bei den Fußball-Ferien-Freizeiten überzeugt.
Stärkung von Demokratie und Zusammenhalt im Blick
Das kann Tobias Wrzesinski, Geschäftsführer der DFB-Stiftung Egidius Braun, nur bekräftigen: „Im Austausch mit den Jugendlichen geben wir dort wichtige Impulse für gesellschaftliche und politische Debatten, um letztlich im Rahmen unserer Möglichkeiten Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken “, sagt er. Indem die Freizeiten weit über gemeinsames Fußballtraining hinausgingen, werde man auch der Maxime des Ideengebers gerecht, erklärt Wrzesinski. Denn der 2022 verstorbene DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun habe stets betont, Fußball sei mehr als ein 1:0.
Die Fußball-Ferien-Freizeiten 2024 stehen unter dem Titel Völkerverständigung und Integration. 72 Fußballvereine aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich in besonderem Maße für Integration, also ein harmonisches Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln und Familiengeschichten stark machen oder völkerverbindende Aktionen initiieren, sind dabei. Die im Sommer 2001 errichtete Stiftung trägt für alle teilnehmenden Mannschaften die Reisekosten sowie die Ausgaben für Unterbringung, Verpflegung und das Programm, zu dem Sport, Ausflüge, Workshops und der Austausch mit Größen aus Sport, Politik und Gesellschaft gehören. Die Fußball-Ferien-Freizeiten werden bereits seit 1993 alljährlich durchgeführt.