

Borussia Dortmund hat erstmals in der Vereinsgeschichte die deutsche Meisterschaft im Blindenfußball gewonnen. Entscheidenden Anteil daran hatte Nationalspieler Jonathan Tönsing, der in der dieser Saison mit 24 Treffern Torschützenkönig geworden ist. 2013 wurde der heute 26-Jährige noch als bester Nachwuchsspieler ausgezeichnet. Im Interview spricht Tönsing über seine eigene Entwicklung, aber auch über den Prozess, den der Blindenfußball in Deutschland durchlaufen hat – auch dank des Engagements der DFB-Stiftung Sepp Herberger.
Jonathan Tönsing, der große Triumph ist nun bereits einige Tage her und sie konnten alles etwas sacken lassen: Wie denken Sie mit Abstand über den Gewinn der deutschen Meisterschaft mit dem BVB?
Jonathan Tönsing: Es war eine super Saison mit dem perfekten Ende am großen Finaltag in Nürnberg. Vielen Dank an alle Beteiligten, die das möglich gemacht haben. Ich habe die zweite Saison beim BVB gespielt und dass wir jetzt schon die deutsche Meisterschaft gewinnen konnten, ist außergewöhnlich. Es macht mich stolz und glücklich.
Sie sind zuvor schon dreimal mit dem FC St. Pauli deutscher Meister geworden. Fühlt es sich jetzt anders an?
Tönsing: Irgendwie schon, weil es das erste Mal in der Vereinsgeschichte ist, dass der BVB den Titel holen konnte. Als ich vor zwei Jahren hierherkam, gab es einen Drei-Jahres-Plan. In diesem Zeitraum wollten wir die deutsche Meisterschaft gewinnen. Nun hat es früher funktioniert. Ich bin glücklich, meinen Teil dazu beigetragen zu haben.
Das klingt fast untertrieben. Sie sind mit 24 Treffern sogar Torschützenkönig geworden…
Tönsing: Ja, es lief auch für mich gut. Aber es war nicht meine beste Saison. Für den FC St. Pauli sind mir mal 31 Treffer in einer Saison gelungen. Trotzdem bin ich natürlich sehr zufrieden, wie alles gelaufen ist. Aber meine Tore sind nicht wichtig. Ich kann nur erfolgreich sein, wenn ich starke Teamkollegen habe, die mich in Szene setzen. Das war in dieser Saison definitiv der Fall. Man ist immer nur so gut, wie man als Mannschaft agiert. Und wir waren sehr stark in dieser Saison. Alle haben das große Ziel verfolgt und hart dafür gearbeitet. Am Ende haben wir uns belohnt. Danke an alle, die mich unterstützt haben.
Wie fühlt es sich an, das Trikot des BVB zu tragen?
Tönsig: Wirklich sehr besonders. Der Verein macht vieles für uns möglich. Wir können zum Beispiel auch an der internationalen Spielrunde teilnehmen und uns dort mit den besten Teams aus anderen Ländern messen. Das europäische Niveau ist sehr hoch und macht uns noch besser. Außerdem bin ich dankbar, dass der BVB es mir ermöglicht, weiterhin in Hamburg leben und trotzdem für Dortmund spielen zu können. Der BVB ist ein riesiger Verein mit einem starken Team hinter dem Team. Es ist wunderschön, was dort geleistet wird. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Ich bin nur ein Teil des Ganzen.
Wie nehmen Sie als Nationalspieler die Entwicklung des Blindenfußballs hierzulande war?
Tönsing: Sehr positiv. Durch die Sepp-Herberger-Stiftung und weitere Organisationen hat sich vieles in die richtige Richtung entwickelt. Wir kommen immer weiter. Die Strukturen sind viel besser und damit auch professioneller geworden. Für die Möglichkeiten, die wir hier haben, machen wir es meiner Meinung nach ziemlich gut. Aber wir dürfen uns auf dem Erreichten nicht ausruhen und müssen weitermachen.
Wie wichtig ist es, dass der letzte Spieltag der Blindenfußball-Bundesliga traditionell im Rahmen der Fußball-Inklusionstag der DFB-Stiftung Sepp Herberger auf dem zentralen Platz in einer Großstadt stattfindet – diesmal in Nürnberg?
Tönsing: Total wichtig. Der Blindenfußball ist eine wunderschöne Sportart, die jede Öffentlichkeit verdient hat. Am besten funktioniert es immer, den Menschen zu zeigen, wie faszinierend der Sport ist, wenn sie es selbst vor Ort erleben. Das gilt natürlich und wahrscheinlich sogar in besonderem Maße auch für den Blindenfußball. Nur so können wir die Menschen für unseren tollen Sport begeistern.
Spüren Sie also die Wertschätzung für die Leistungen, die Sie bringen?
Tönsing: Absolut. Die Siegerehrung haben große Persönlichkeiten vorgenommen. Unter anderem waren Rudi Völler, Ralph-Uwe Schaffert, Monica Lierhaus und Andreas Rettig da. Auch Tina Theune unterstützt uns sehr. Dafür sind wir sehr dankbar, denn das ist alles sicher nicht selbstverständlich. Am meisten freut mich, dass es immer und überall fast nur positives Feedback gibt. Das zeigt, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, der richtige ist.
Sie sind diesen Weg mitgegangen. Vor zwölf Jahren, nach der Saison 2013, wurden Sie als bester Nachwuchsspieler in der Blindenfußball-Bundesliga ausgezeichnet. Damals mit 13 Jahren. Wie denken Sie über Ihre eigene Entwicklung?
Tönsing: Es war bisher eine sehr schöne Reise für mich durch den Blindenfußball. Nach diesem Titelgewinn mit dem BVB habe ich auch nochmal darüber nachgedacht, wie schnell die Zeit doch vergeht. Das ist einfach Wahnsinn. Damals war ich der kleine Junge, der trotz seiner Einschränkung einfach nur Fußball spielen wollte. Ich liebe Fußball. jetzt bin ich vierfacher deutscher Meister und Nationalspieler. Es ist manchmal schwer, das zu realisieren, weil es sich wie ein Traum anfühlt.
Aber es ist die Realität.
Tönsing: Zum Glück.
Was gibt Ihnen der Fußball?
Tönsing: Fußball ist ein großer Inhalt in meinem Leben, in den ich schon immer viel Zeit investiert habe. Er ist viel mehr als Tore, Tabelle, Siege und Niederlagen. Durch den Fußball sind Freundschaften entstanden. Ich durfte großartige Dinge erleben und extrem viel lernen. Der Sport bringt immer Menschen zusammen und schafft Verbindungen.
Was waren Höhepunkte in der Zeit?
Tönsing: Puh, das ist schwer zu beantworten. Ich habe unglaublich viele schöne Erinnerungen. Wenn ich die alle aufzählen würde, würde das den Rahmen dieses Interviews sprengen. Sehr präsent ist natürlich noch der Titelgewinn mit dem BVB. Aber ich hatte auch beim FC St. Pauli eine großartige und erfolgreiche Zeit. Heute kann ich allerdings mit Überzeugung sagen, dass es die richtige Entscheidung war, mich dem BVB anzuschließen.
Sie leben weiterhin in Hamburg?
Tönsing: Ja, das war die Absprache. Ich halte mich in Hamburg individuell fit und bin immer wieder mal anlassbezogen in Dortmund. Das hat sich insgesamt ganz gut eingespielt. Nochmal: Ich bin wirklich glücklich darüber, dass ich Fußball auf diesem Niveau spielen kann, obwohl ich nichts sehe. Ich bin dennoch Teil dieser Faszination und darf diesen ganz besonderen Sport ausüben. Diese Möglichkeit gibt mir der Blindenfußball. Man muss schon sagen, dass die Blindenfußball-Bundesliga im europäischen Vergleich ziemlich einmalig ist. Wir sollten uns glücklich schätzen, dass das hier möglich ist.