„Hier, ja? Hier geht’s los?“ Konzentriert deutet Fabian Schwalbach auf die hellen Bierbänke, die einander drei und drei auf dem Kunstrasenplatz des SV Teutonia Köppern gegenüberliegen. Bruno Pasqualotto nickt und Fabians Blick wandert von der schmalen Schneise zwischen den Bänken zu einem kleinen Tor voller bunter Bälle und wieder zurück. Er streicht sich zufrieden über sein bordeauxrotes Trikot und strahlt Bruno an. „Okay. Okay!“
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Bruno und Fabian, den alle nur Fabi nennen, in Mainz an der Ausbildung der SCORT Foundation zum „Tandem Young Coach“ teilgenommen haben. Organisiert von der Football Club Social Alliance und unterstützt von der DFL Stiftung und der DFB-Stiftung Sepp Herberger ist es das Ziel, Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zu befähigen, als Fußballtrainer*in aktiv zu sein.
Geschult werden dabei Tandems aus Fußballvereinen, denen jeweils eine Person mit und eine ohne Behinderung angehören. Fabi hat Trisomie 21. Bruno leitet die inklusive Mannschaft „Team United“ beim SV Teutonia Köppern. Hier haben sich die beiden kennengelernt. Fußball steht für Fabi, der in einem Kindergarten in Mainz arbeitet, über allem. Zudem kann er sehr gut mit Kindern und ist großer Fan von Mainz 05. Trainer zu werden, das war ein Heimspiel für ihn.
Arbeitsteilung nach individuellen Stärken
„Bruno hat die Ideen und zeigt sie mir erstmal. Ich erkläre sie im Training“, erläutert Fabi die Arbeitsteilung des Duos in der Ballschule. So heißt das inklusive Trainingsangebot des Vereins für Kinder ab vier Jahren, das sie nach der erfolgreichen Ausbildung letzten Sommer gestartet haben. Angemeldet sind für die einstündigen Einheiten am späten Freitagnachmittag derzeit 15 Kinder, erzählt Bruno, acht von ihnen sind im Schnitt jede Woche dabei. Es habe ein wenig gedauert, bis Schwung in die Zahlen gekommen sei, aber: „Das kennen wir vom Team United. Inzwischen ist es eine tolle Gruppe und auch Schulen empfehlen uns immer häufiger.“
„Raus, raus!“ Fabi gestikuliert mit hochrotem Kopf. Das Thermometer zeigt 24 Grad, aber die gefühlte Temperatur liegt deutlich höher. Die Sonne brennt heiß auf den Kunstrasen, auf dem sich neun Kinder und die beiden Trainer tummeln. Gerade hat Fabi die Übung erklärt: Immer zwei Teilnehmer*innen gehen langsam durch die Schneise zwischen den Bierbänken, während Bruno die Bälle hineinrollt, denen sie ausweichen müssen.
Die sieben Jungs und zwei Mädchen sind zu Beginn ihrer Einheit aufgekratzt und ungeduldig. Während Fabi und Bruno erklären, wie sie sich aufwärmen, hüpft immer schon ein Kind in die Lücke zwischen den Bänken. Fabi scheucht sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck zurück. Dann hält er die Arme über den Kopf und ruft laut: „Auf die Plätze – fertig – los.“ Dabei klatscht er einmal in die Hände, als Zeichen dafür, dass die Trainingsduos loslaufen dürfen.
Bruno lässt die Bälle rollen, die Kinder hüpfen los. „Langsam, langsam“, mahnt Fabi, schließlich heißt die erste Runde: gehen. Die Kinder suchen und finden sich in Teams zu zweit. Zur Trainingsgruppe gehört eine bunte Mischung aus Kindern mit und ohne Behinderung. Wenn sie sich in Duos zusammentun, spielt das keine Rolle.
Alle kennen sich untereinander, einige Kids sind von Anfang an dabei, andere Geschwister. So sind über den Fußball auch Freundschaften entstanden. Am Spielfeldrand sitzen und stehen Mütter und Väter, grüppchenweise ins Gespräch vertieft. Da geht es um Streitigkeiten zwischen Geschwistern ebenso wie um eine just beendete Delfintherapie. Die Atmosphäre ist entspannt, zwischendurch laufen die Kinder an den Rand, um Wasser zu trinken oder Kekse zu essen. Die Eltern genießen die kleine Auszeit, die ihnen das Training schenkt.
Entwicklung vom Spieler zum Trainer
„Runter, runter!“, ruft Fabi laut. In der nächsten Runde müssen die Spieler*innen auf allen Vieren den kullernden Bällen ausweichen. Gekicher und amüsierte Rufe wehen über den Platz. Es ist mittlerweile fast sechs und die akute Hitze hat etwas nachgelassen. „Fabi hat sich in dem Jahr immer mehr vom Spieler zum Trainer entwickelt“, sagt Bruno, während sein Young Coach die Spieler*innen in einer Reihe aufstellt. „Man merkt: Ihm liegt das total.“
Die Trainingsgruppe nimmt vor den „Fair Play Hessen-Bannern“ Aufstellung, um aufgereihte Bälle von bunten Hütchen zu schießen. Fabi zoppelt an seinem Trikot, um die Luft darunter zu bewegen. „Ich lerne mit Bruno die Übungen und mache sie auch im Kindergarten“, erzählt er. „Unsere Übungen?“ Bruno lacht. „Ja, was denkst du denn, die sind doch richtig gut“, sagt Fabi, sein Gesichtsausdruck ist verschmitzt. Dann verrät er, welchen Wunsch er für die Ballschule hat: „Wir müssen an Turnieren teilnehmen!“ Bruno nickt. „Das ist ein Wunsch für die Zukunft.“
Die Hütchen-Übung stellt sich als kompliziert heraus. Mit viel Kraft schießen die Spieler*innen und versuchen, die Bälle zu treffen, damit sie abstürzen. Fabi beobachtet, registriert die festen Schüsse, die ihr Ziel verfehlen. Sein Blick wandert zurück zu den Bierbänken, seine Gedanken zu der ersten Übung, bei der es eben nicht um Kraft oder Geschwindigkeit ging.
„Langsam!“, fordert er. Die Mädchen und Jungen sind verwundert. Langsam? Dann dämmert es den ersten und sie schießen nicht mit Kraft auf die Bälle, sondern gezielt auf die Hütchen. Kenza ist die Erste, die so Erfolg hat: Ihr Schuss erschüttert das bunte Hütchen, der Ball kullert runter – das ergibt einen Punkt für ihr Team, das diesen frenetisch feiert. Fabi nickt zufrieden. Doch nicht alle lassen sich von seinem Weg überzeugen. „So nicht!“, ruft Fabi streng, während zwei der Jungs die Bälle mit dem Fuß vom Hütchen schlagen und beginnt, sie einzusammeln.
„Lass die Bälle liegen“, ruft Bruno, in der Annahme, sie seien sportlich gefallen. Fabi schüttelt angestrengt den Kopf. Er hat ein feines Gespür dafür, wenn Dinge unfair sind. Die Schummler registrieren seine stumme Angespanntheit und werfen einander schuldbewusste Blicke zu. In der nächsten Runde treten sie fair an. Nach und nach entspannt sich Fabis Gesichtsausdruck – und dann der ganze Kerl. Nun gibt er wieder munter seine sportlichen Anweisungen.
Tandems lernen gegenseitig voneinander
„Was ich von Fabi vor allem gelernt habe, ist Mut“, erzählt Bruno am Rande des Trainings. Er selbst sei eher introvertiert. „Fabi sagt dann zu mir: ‚Mach doch einfach!‘ Das ist auf eine Art eine völlig neue Perspektive für mich.“ Er schaut seinen Trainerkollegen an, der ihm zuhört und dabei breit grinst. „Einfach machen“, nickt er. Bruno ergänzt: „Dafür habe ich Fabi von Anfang an bewundert. Das ist für mich eine echte Entwicklung, Dinge einfach so zu wagen.“
Die Truppe auf dem Feld findet sich mittlerweile zum Abschlussspiel ein. In einem bunten Chor von Stimmen werden Wünsche an Fabi herangetragen, wer mit wem wie spielen möchte. Er ignoriert die Rufe und Bitten und stellt ganz intuitiv zwei Teams zusammen, die sich in Sachen Leistungsfähigkeit ähneln. Weder erklärt er das, noch lässt der junge Trainer sich ein auf laute Beschwerden oder das Zupfen an seinem Trikot. Mit ruhigen Gesten dirigiert er die Teams und ordnet am Ende sich und Bruno jeweils einer der beiden Gruppen zu.
Im abschließenden Spiel Fünf gegen Sechs sind Fabis Augen überall. Frühzeitig erkennt er nicht nur, wohin der Ball geht, sondern schätzt auch binnen Sekunden ein, welche Spieler*innen ein Zuspiel wie verarbeiten können. Kommt ein Pass zu scharf, rennt er hinein, bremst ihn ab und spielt sein Teammitglied mit genau der Härte an, die es verarbeiten kann. In Spielzüge auf der gegnerischen Seite wirft er sich mit Schwung und bezieht alle Kinder auf dem Feld mit ein.
Der Young Coach macht es den Mädchen und Jungs nicht leicht auf eine Art, die unterschätzt, sondern fordert die Kinder durchaus heraus. Aber er lässt sie niemals schlecht aussehen. Er erkennt ihre individuellen Fähigkeiten und geht darauf ein, hat die Spieler*innen beider Teams im Blick und reagiert mit schlafwandlerischer Sicherheit auf ihr jeweiliges Können. Wer ihn so beobachtet, denkt automatisch: Das ist die Art Trainer, die man jedem Kind wünscht.
Und wer weiß, vielleicht ist Fabi der Coach geworden, den er sich als kleiner Junge erträumt hat. Im Tandem mit Bruno, der ihn als Trainer beim Team United schlichtweg ernstgenommen hat. Die beiden sind ein unschlagbares Duo, weil sie auf Augenhöhe kommunizieren. So geben sie den Kindern Selbstvertrauen und schenken den Eltern am Spielfeldrand Gelassenheit. Ganz nebenbei entwickeln sie sich beide immer weiter. Und verdanken das einander.
Text: Mara Pfeiffer / DFL Stiftung