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24.8.2023

60 Jahre Bundesliga - Wie Sepp Herberger Fußballgeschichte schrieb

Dass die Bundesliga heute ihren 60.Geburtstag feiert, ist auch das Werk von Sepp Herberger. Sie war sein lang gehegter Traum, der sich erst weit nach seiner Spielerkarriere erfüllte. Fast die vollen 28 Jahre seiner Amtszeit als Bundestrainer kämpfte er um die Idee einer deutschen Elite-Liga, die sich schließlich 1963 verwirklichen sollte. Doch der Weg dorthin war steinig. 

Als Aktiver spielte Herberger zwar erstklassig, brachte es aber nur bis zum Bezirksliga-Spieler. Dieser Fakt wirft ein bezeichnendes Licht auf die Pionierzeit des deutschen Fußballs. Womit wir heute Dorffußball, Ascheplätze und zweistellige Zuschauerzahlen verbinden, verband man vor 100 Jahren großen Sport.Etwas Höheres als die 55 Bezirksligen gab es bis 1932 im Reich nicht. So durften sich rund 600 Vereine als erstklassig fühlen. Dass es in anderen Ländern schon Nationalligen gab, sahen die Deutschen wohl, doch es fehlte der politische Wille ihnen nachzueifern. Und die Strukturen, was immer etwas mit Geld zu tun hat. Welcher Verein hatte schon in den von den Nachwehen des 1. Weltkriegs wie Inflation, Hunger und Arbeitslosigkeit geprägten Tagen die Mittel, alle zwei Wochen durchs ganze Land zu fahren und seine Spieler auch noch zu bezahlen?

Herberger als geistiger Vater der Bundesliga 

Aber es gab schon in der Weimarer Republik Initiativen zur Gründung einer Reichsliga und Herberger war ein glühender Verfechter der Idee. Seinen Aufzeichnungen verdanken wir die Erkenntnis: Herberger war ein geistiger Vater der Bundesliga. Ihretwegen hat er sogar noch ein Jahr als Bundestrainer drangehängt, wie er im Rückblick notierte: „Die Einführung der Bundesliga hat mein Rücktrittsgesuch verzögert. Ich kenne die Verhältnisse innerhalb des DFB und seiner Vereine wahrscheinlich so gut, wie sie außer mir keiner kennt. Dieser Einblick hat es mir dringend geboten erscheinen lassen, wenigstens das erste Jahr einer Bundesliga noch im Dienst zu bleiben, also bis 1964.“

Herberger sah schon damals voraus, was erst 2000 Realität werden sollte: dass sich die Vereine der obersten Klasse (in der DFL) verselbständigen würden. „Die Bundesliga wird zu einem Instrument der Macht, sie soll autonom werden!“, notierte er kurz nach deren Gründung am 28. Juli 1962 auf dem Bundestag in der Dortmunder Westfalenhalle. „Wohin es führt, ist ebenfalls bestens bekannt. Die Liga hat die Macht, der DFB ist gerade noch dabei, als Briefkasten sozusagen.“ 

Vorgänger der Bundesliga scheiterte an deutscher Invasion in Polen 

Dennoch waren es Luxus-Sorgen im Vergleich zu den Jahren des Kampfes um ihre Durchsetzung. Der begann schon 1932, noch ohne Herberger. Der DFB-Vorstand hatte auf dem Bundestag die Einführung des Profitums im kleinen Zirkel vorbereitet, auf dem nächsten Bundestag Ende Mai sollte die Reichsliga gegründet werden.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 machte dem einen Strich durch die Rechnung, die Idee von Profisportlern passte nicht in deren Weltbild. Aber im August 1939, mittlerweile gab es nur noch 18 oberste Ligen – die „Gau-Ligen“ – stand die Reichsliga wieder auf der Tagesordnung eines „außerordentlichen DFB-Bundestags“ mit den 18 Gau-Fachwarten. Die BZ titelte am 8. August: „Kommt die Reichsliga im Fußball?“ Im Kicker stand damals: „Dass die Reichsliga kommt, erscheint heute wohl so gut wie sicher. Es fragt sich nur, wann sie kommt und in welcher Form sie die neue Epoche des deutschen Fußballs einleiten soll. Die Reichsliga muss eines Tages kommen, wenn die deutsche Fußballbewegung nicht in der Mittelmäßigkeit ersticken soll.“ Aber sie kam nicht.

Sepp Herberger erfuhr an jenem 25. August 1939 abends um elf in Berlin im Hotel Russischer Hof davon, dass im fernen Bremen die Entscheidung wieder einmal verschoben werden musste. Denn der Überfall auf Polen nahm an diesem Wochenende Formen an und nicht nur das Länderspiel gegen die Schweden wurde „wegen drohender Kriegsgefahr“ abgesagt. Herberger erfuhr von einem Funktionär, dass „die Tagung in Bremen aus demselben Grund wie unsere Reise ein Opfer der politischen Entwicklungen war. Das Thema Reichsliga sei mitten im Schwunge gewesen, als die Tagung aufgelöst wurde.“

Herberger war enttäuscht, seit zwei Jahren war er als Reichstrainer für die Nationalmannschaft allein verantwortlich – auch für das frühe Aus bei der WM 1938. Ihm war an einer Konzentration der Kräfte also sehr gelegen: „Die Fußball-Nationalmannschaft und ihre Führung waren schon immer für eine Konzentration der besten Spieler und Vereine in einer kleinen Spitzenklasse. Dieses Thema war schon unter Otto Nerz sehr häufig Gegenstand des Gesprächs zwischen Nerz und mir.“ Nach Nerz’ Rücktritt führte Herberger in den regelmäßigen Gesprächen mit DFB-Präsident Felix Linnemann das Thema einer „Spitzenklasse“ an. Linnemann musste nicht überredet werden, der Widerstand kam aus den Gauen. Aber im August 1939 standen die Chancen gut, der Boden war bereitet. Linnemanns Plan sah eine dreiteilige – also immer noch keine zentrale – Reichsliga zu je 18 Vereinen vor. Start: 1940/41. „Und dann kam jener Tag von Bremen, der Tag, der uns eine Reichsliga bringen sollte. Und wieder gingen alle Hoffnungen in die Brüche.“, schrieb Chronist Herberger. Acht Tage später brach der Krieg aus; niemand dachte daran den Fußball zu reformieren. Es war mühsam genug, den Status quo zu erhalten, ganze Mannschaften fraß der Krieg und die verschärften Reisevorschriften erlaubten ohnehin keinen überregionalen Sportverkehr.

Die mühselige Qual der Wahl bei 80 Vereinen

Als der Krieg aus war, rollte der Ball schon Ende 1945 wieder – auf höchster Ebene nunmehr in vier Oberligen und der Stadt-Liga Berlin. Herberger war immer noch Nationaltrainer – ab 1950 „Bundestrainer“ – und musste nun Spieler aus über 80 Erstligisten auswählen. Im Januar 1954 analysierte er vor der sensationell gewonnenen WM in der Schweiz den Zustand der Oberligen so: „Die Handbremsen der Leistung: Zuviel Vereine im Verhältnis zur Zahl der guten Spieler. Die Folgen dieses Missverhältnisses: Nationalspieler und Talente im Feld der Mittelmäßigkeit überragend ohne Anstrengung.“ Er beklagte die Dominanz der Abonnementsmeister HSV im Norden oder Kaiserslautern im Südwesten, die den „Punktegewinn oft im Spaziergang“ schafften. Das schlage sich auf die Einstellung der Spieler in Wettkampf und Training nieder. Folgen seien „unzureichende Kondition“ und „keine Übung und keine Erfahrung im 90minütigen Wettkampf“. Weshalb etwa 1951 in Dublin das Spiel gegen die Iren im Endspurt verloren gegangen sei (2:3). Immer wieder käme auch das „Abstoppen, wenn Sieg gesichert schien“ vor. Sein düsteres Fazit lautete: „Der deutsche Fußball krankt an seinem Spielsystem.“ 

In seinen Aufzeichnungen finden sich Entwürfe eines neuen Systems; es sieht eine zweigeteilte Bundesliga zu je 16 Klubs vor, wobei Nord und West sowie Süd und Südwest je acht Teams stellen sollten. Sie sollte nach seinen Wünschen 1960/61 in Kraft treten, was er als Mitglied des DFB-Beirats dort gewiss auch vortrug. Ein stiller Verfechter seines Anliegens war er jedenfalls nicht. So findet sich in seinen Unterlagen ein Brief von DFB-Präsident Peco Bauwens, der ihn und seine Assistenten Helmut Schön und Georg Gawliczek am 30. Januar 1957 bittet, „sich aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten“ und Vorschläge zur Bundesliga doch bitte „offiziell dem DFB-Vorstand unterbreiten“ zu wollen. Argumente hatte er genug. Während in Europa alle Nationen eine Nationalliga hatten, waltete ausgerechnet im Land des Weltmeisters noch das Prinzip der Kleinstaaterei. Mit dem fühlten sich immer mehr Verantwortliche unbehaglich.

Franz Kremer, Präsident des 1. FC Köln, gründete schon 1949 die „Interessengemeinschaft Bundesliga und Berufsfußball“. Er war ein Geistesbruder Herbergers, aber sie waren noch zu wenige. Auf dem DFB-Bundestag 1958 kam die Bundesliga erstmals nach dem Krieg auf die Tagesordnung, aber sie fand keine Mehrheit.

Sepp Herberger gab nicht auf. 1961 hielt er vor Spielausschussobmännern, heute würde man sie Sport-Direktoren nennen, der Regional- und Landesverbände in Wiesbaden ein Referat und beklagte laut eines Presseberichts, dass es „dem deutschen Fußball an der Konzentration der Kräfte fehlt“.

Im Januar 1962 schrieb er dem FDP-Vorsitzenden Erich Mende aufgrund einer kritischen Äußerung des Finanzministers Dr. Starke hinsichtlich der Bundesliga: „Ich hoffe, dass die zuständigen Behörden Verständnis für die Bemühungen aufbringen würden, dem Spitzenfußball ein im Interesse der weiteren Entwicklung des deutschen Fußballs und seiner internationalen Geltung wünschenswertes System zu geben.“ Denn es galt auch steuerliche Hürden zu nehmen; die Vereine fürchteten die Gemeinnützigkeit zu verlieren, auch fürchteten sie die zehnprozentige Vergnügungssteuer. Dass sein Traum quasi aus steuerlichen Gründen scheitern würde, wollte der Bundestrainer nicht hinnehmen.

Frühes WM-Aus beflügelt Herbergers Pläne

Nachdruck verlieh diesen Worten die Nationalmannschaft bei der WM 1962 in Chile. Das frühe Aus im Viertelfinale bekräftigte die Skeptiker, die das Oberliga-System für den Niedergang des deutschen Fußballs verantwortlich machten. Hinzu kam, dass immer mehr Nationalspieler, die nur 400 D-Mark im Monat verdienen durften, ihr Heil im Ausland suchten. Italien angelte sich Spieler wie Schnellinger, Szymaniak oder Brülls, auch an Uwe Seeler wurde schon gebaggert. Diese Entwicklung spielte Herberger in die Karten. Schon auf dem DFB-Bundestag 1961 in Stuttgart war beschlossen worden, dass auf dem nächsten DFB-Bundestag über die Bundesliga-Gründung abgestimmt werden sollte. Am 28. Juli 1962 war es im Goldsaal der Dortmunder Westfalen-Halle endlich so weit. Herberger war als Delegierter des Südwestdeutschen Verbandes stimmberechtigt. Noch während der Auszählung gab er sich skeptisch, aber auch er konnte sich einmal irren. Das überwältigende Ergebnis von 103:26 gab Herberger und den anderen Vorkämpfern lauthals recht. Als Sepp Herberger den Goldsaal verließ, strahlte er übers ganze Gesicht: „Diese Entscheidung macht mich froh. Endlich haben wir sie.“ 

Nun galt es, dem Kind das Laufen beizubringen. Herbergers Kampf war noch nicht zu Ende und sein Rat und seine Fähigkeiten wurden weiterhin gebraucht. Am 1. März 1963 rief ihn Hans Körfer vom DFB-Spielausschuss an und informierte ihn von Strömungen in der fünfköpfigen Bundesliga-Kommission. Deren Aufgabe war es unter anderem, die Anzahl der Teilnehmer festzulegen. Körfer bat Herberger in der Frage „16 oder 18 Klubs?“, Einfluss zu nehmen. Er notierte leicht amüsiert: „Gleichermaßen empfiehlt er mir auch die ‚Bearbeitung‘ von Neuberger.“ Dahingehend, dass es bei 16 Klubs bleibe. Einen Brief in gleicher Sache erhielt er von Franz Kremer, Kölns Präsidenten, der ihm seine Argumente für eine 16er-Liga schickte und um „Zusätze oder Änderungsvorschläge bat“.

Herberger ist am Ziel

Mit dieser Frage beschäftigte sich der DFB-Beirat im Mai 1963 in Köln, und wieder saß Herberger mit am Tisch, als die endgültige Größe (16 Klubs) festgelegt wurde. Als die Liga am 24. August 1963 startete, saß der „Chef“ in Karlsruhe und sah Duisburgs Helmut Rahn, einen Berner Helden, stürmen. Rahn, zuvor in den Niederlanden aktiv, war eigens wegen der Bundesliga zurückgekehrt. Auch dieses Detail mag den Bundestrainer in seinem Kampf um die neue Klasse bestätigt haben. Dem „Fussball Sport“ gab er am nächsten Tag ein Interview und sagte: „Natürlich erleichtert mir die Konzentration der Spitzenkräfte in der Bundesliga die Arbeit. Ich werde möglichst viele Bundesliga-Spiele besuchen.“

Es war eine bittere Ironie der Geschichte, dass er selbst nur ein Jahr von der Einrichtung jener Institution profitieren konnte, für die er an beinahe jedem Tag in seiner 28-jährigen Amtszeit gekämpft hatte. Mit dem Ergebnis seines Kampfes konnte er sehr zufrieden sein. Bei einem Vergleich der Zustände von „früher“ und „heute“ kam er 1967 zu einem vollauf befriedigenden Zwischenergebnis: „Alle Kandidaten auf kleinem Tablett – Schärfste Konkurrenz und Rivalität um den Platz an der Sonne – Die Zeit für Spaziergänge ist vorbei! – Die Vereine liefern fertige Spieler – tägliches Training – Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“.

Von den mittlerweile 60 Bundesligajahren erlebte er nur die ersten 14 und man würde zu gern wissen, wie zufrieden er mit der Entwicklung des deutschen liebsten Kindes, das auch sein Baby war, ist. Manches würde ihm sicher missfallen, aber dass der Ball in vollen Stadien weiter rollt, das macht ihn sicher auch von dem Tribünenplatz, von wo er jetzt zuschaut, glücklich.

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