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13.9.2024

Resozialisierungsinitiative „Anstoß für ein neues Leben“ – Uli Borowka als Mutmacher für den Neuanfang

„Eure zweite Chance wird kommen“, sagt Uli Borowka den jungen Strafgefangenen. Gleich dreimal sagt er es in den eineinhalb Stunden seines Besuchs. Vor den Mauern endet der Sommer mit Nieselregen bei etwa 12 Grad, hier drin ist es wie es im Knast ist. Schmucklos, karg. Die Turnhalle in der Jugendstrafanstalt Schifferstadt, ein früher Abend. Die 17 jungen Männer zwischen 16 Jahren und Anfang 20 sitzen auf Turnhallenbänken, Borowka sitzt frontal vor ihnen. Nach 16 Jahren in der Bundesliga und einer Alkoholsucht, die tödlich für ihn hätte enden müssen (so besoffen war er, als er dutzende Tabletten hinterherwarf), kam seine zweite Chance. „Volle Pulle“ heißt Uli Borowkas Buch, indem er schonungslos Zeugnis ablegt. 

Im Auftrag der DFB-Stiftung Sepp Herberger tourt Borowka durch die Justizeinrichtungen und Jugendstrafanstalten des Landes. In Iserlohn, Neustrelitz, Wittlich und Heinsberg war er gewesen, auf Schifferstadt werden Veranstaltungen in Rockenberg, Schleswig, Wuppertal-Ronsdorf, Hövelhof und Herford folgen. 

Uli Borowka (2. v. r.) besucht die JSA Schifferstadt (Foto: Klaus Venus)

Alkoholsucht während der aktiven Karriere

In seiner Glanzzeit zwischen 1981 und Mitte der neunziger wollte niemand gegen ihn spielen. Borowka war zweikampfstark, um das mal vorsichtig auszudrücken. Er galt als härtester Verteidiger der Liga. Er gewann zwei Deutsche Meisterschaften, zweimal den Pokal und einmal mit Werder den Europapokal. In 388 Bundesligaspielen für Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen sah er nur einmal die Rote Karte. „Und wie oft haben Sie Gelb gesehen?“, fragt einer der Jungs. Borowka lacht: „Gefühlt 200 Mal.“ Im April 1988 im Berliner Olympiastadion beackerte er im Länderspiel Claudio Caniggia. Der und Diego Maradona wechselten die Seiten und für rund 70 Minuten versuchte er anschließend Maradona zu stoppen. „Dreimal in meiner Karriere durfte ich gegen ihn spielen. Was der konnte mit dem Ball – booah“. Für Uli Borowka waren die Spiele gegen Maradona ein Karrierehöhepunkt. „Aber leider ist er ja auch schon tot.“

Er habe während seiner 16 Jahre im Leistungssport gesoffen, durchgehend. Weniger am Bökelberg, immer mehr in Bremen. „Über den Tag verteilt waren das in meiner schlimmsten Zeit ein Kasten Bier, eine Flasche Wodka, ein paar Whiskey und obendrauf ein paar Magenbitter“, erzählt er in Schifferstadt. Er erklärt, was mit Ko-Abhängigkeit gemeint ist, dass Trainer oder Präsidenten schon wussten, „dass der Borowka säuft, aber die wussten auch, dass ich die Leistung bringe.“ Den trockenen Abend vor dem Spiel packte er durchzustehen mit dem Belohnungsprinzip. Nach Sieg und Abpfiff am Samstag würde er bis zum Montag durchsaufen. Nach Unentschieden oder Niederlage soff er selbstverständlich trotzdem durch bis zum Montag.

Borowka ist manchmal bitter witzig, er erzählt packend und punktuell schockierend schonungslos. Seine 17 Zuhörer bleiben meist teilnahmslos. Man möchte sie rütteln, möchte ihnen klar machen, dass es um ihr (Über-) Leben geht. Ist es das Alter, das Gefühl, unverwundbar zu sein, die Coolness? Sind es die Nackenschläge? Eine Gefängnisangestellte erzählt, viele der jungen Strafgefangenen seien Kinder von Alkoholikern oder Junkies. Als Uli Borowka erklärt, dass seine beiden Kinder aus erster Ehe keinen Kontakt zu ihm wollen, und dass er hier noch etwas verbessern möchte in seinem Leben, merkt man ihre Anspannung, dass sie diesen Moment mitfühlen.

Der ehemalige Nationalspieler im ehrlichen Gespräch mit den jungen Strafgefangenen. (Foto: Klaus Venus)

Fußball bietet Freiraum

Der für den Sport zuständige Vollzugsbeamte erzählt, wie auch das Fußballtraining eine Herausforderung darstellt, weil hier knallhart Hierarchien ausgehandelt werden. Wer zurückzieht, muss sich auch im Alltag unterordnen. Beim Essen mal schön hintenanstellen. Einerseits müsse er dafür sorgen, dass niemand überdreht, andererseits solle gerade die Fußballstunde auch mal einen Freiraum bieten. Es brauche Stärke und Sensibilität, berichtet der Beamte. Die Rückfallquote ist hoch. Und natürlich kommt es immer wieder vor, dass auch Alkohol und andere Drogen in deutsche Gefängnisse geschmuggelt werden.  

Bald sind 25 Jahre seit Borowkas letztem Glas vergangen. Gerade hat er die Ausbildung zum Suchtberater abgeschlossen. Borowka hat einen Hilfsverein gegründet, hält Vorträge, gibt Lesungen mit „Volle Pulle“. Seine ehrliche Ansprache hat schon viele bewogen, in die Suchtklinik zu gehen. Und viele sind anschließend rückfällig geworden. Er nicht. Er ist 62 Jahre alt und sieht locker wie Mitte 50 aus. „Jeder trockene Tag ist mir heute wertvoller als alle meine Titel.“

Schicksal liegt in den Händen der Jugendlichen 

„Die Axt“ nannten sie ihn früher. Jetzt ihn Schifferstadt beackert er keinen Gegner, er kämpft für die Jungs, die vor ihm sitzen. „Anstoß für ein neues Leben“, die Resozialisierungsinitiative der DFB-Stiftung Sepp Herberger, wird in 21 Gefängnissen verteilt auf zehn Bundesländer angeboten. Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und den jeweiligen DFB-Landesverbänden unterstützt man bei der Jobsuche, man bietet Trainer- und Schiedsrichter-Ausbildungen an, auch um nach der Entlassung andere - gesündere – Peergruppen zu ermöglichen. Axel Rolland, Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Sepp Herberger, verschenkt nach Borowkas Vortrag zehn neue Trainingsbälle an die Gruppe. Die Sozialpädagogin und der Sportleiter sind mit dem Herzen bei der Sache, die rund 160 Jugendlichen in Schifferstadt werden von zwei Suchtberatern betreut. Viele drücken den jungen Männern die Daumen.

Aber wenn sich eines Tages die zweite Chance auftut, steht ihnen keiner zur Seite. Es wird auf jeden Einzelnen ankommen. 

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