

Vor zwölf Jahren fand Samir Schott-Sediqi nach langer Flucht aus Afghanistan nach Deutschland. Dort begann er beim FC Ente Bagdad in Mainz Fußball zu spielen. Der Verein gehörte zu den vielen Klubs, die im Rahmen der Initiativen „1:0“ und „2:0 für ein Willkommen” unterstützt wurden. Der Fußball erleichterte Schott-Sediqi das Ankommen in der neuen Heimat in vielerlei Hinsicht. Auf dem Platz lernte er die Sprache und schloss neue Freundschaften. Schließlich absolvierte er eine Ausbildung, fand eine Anstellung als Bauzeichner und wurde Familienvater. Heute unterstützt der 34-Jährige selbst Menschen, die neu in Deutschland ankommen.
Herr Schott-Sediqi, Sie sind seit zwölf Jahren in Deutschland zu Hause. Wie haben Sie damals hierher gefunden und mit welchen Zielen und Hoffnungen sind Sie in ihrer alten Heimat Afghanistan aufgebrochen?
Samir Schott-Sediqi: Das war wirklich ein langer, schwieriger Weg. Ich war zusammen mit meinen fünf Geschwistern und meinen Eltern viereinhalb Monate unterwegs, mal mit dem Bus, mal mit dem Auto und mal zu Fuß. Es gab immer wieder Rückschläge. Ich habe viermal versucht, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen – ohne Erfolg. Dann ging es schließlich über Bulgarien, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Als ich Ende 2013 hier angekommen bin, wollte ich einfach ein normales Leben in Freiheit führen und nicht mehr das tun müssen, was andere von mir wollten.
Wie war der Start in der neuen Heimat?
Ich war zunächst in Trier in einem Erstaufnahmeheim untergebracht, ehe ich nach Mainz kam, wo damals schon ein Onkel von mir lebte. Dort habe ich in einem Geflüchtetenheim gelebt und irgendwann angefangen, Volleyball zu spielen. Den Sport hatte ich schon in Afghanistan betrieben. Im Sommer 2014 haben wir dann eine Trainingspause eingelegt, weil die Fußball-Weltmeisterschaft anstand. Ein Sozialarbeiter hat mich dann während dieser Pause dafür begeistert, beim FC Ente Bagdad in einer Hobbymannschaft mitzukicken. Weil mir Ballsport liegt, hat es mir schnell Spaß gemacht, Fußball zu spielen. So hat die Reise begonnen.

War es schwierig, mit den Mitspielern in Kontakt zu kommen?
Nein. Der Fußball hat eine besondere Kraft, Menschen zu verbinden. Ich konnte anfangs kaum Deutsch, aber wir haben uns irgendwie mit Händen und Füßen verständigt. Da war direkt das Gefühl, wow, hier kann ich etwas aufbauen und ankommen. Es ging von Anfang an nicht nur um Fußball. Wir haben uns nach dem Training unterhalten und uns gegenseitig verbessert, um schneller Deutsch zu lernen. Das hat mich in der Überzeugung bestärkt, den richtigen Platz für mich gefunden zu haben. Viele Kontakte und Freundschaften aus dieser Zeit bestehen immer noch und ich gehe auch immer noch gerne zu Ente Bagdad, wenn Hobbyturniere anstehen.
Das heißt, der Fußball hat Ihnen eine Tür geöffnet?
Nicht nur eine. Nach ungefähr zwei Jahren habe ich mit Vitesse Mayence einen Verein kennengelernt, der im offiziellen Spielbetrieb vertreten ist. Dort habe ich begonnen, in der Kreisliga zu spielen und einen Mitspieler gehabt, der mir eine erste eigene Wohnung vermietet hat. Über einen Trainer habe ich letztlich zu meinem heutigen Job gefunden. Einer seiner Freunde ist Architekt und hat mir ein Praktikum angeboten. Heute arbeite ich in dieser Firma als ausgebildeter Bauzeichner. Der Fußball hat mir also nicht nur viel Spaß gemacht, sondern mir auch vieles ermöglicht. Vielleicht wäre ein ähnlicher Weg auch anders möglich gewesen, aber der Fußball hat mir viele Brücken gebaut und Möglichkeiten eröffnet. Geholfen hat mir natürlich auch meine heutige Frau, die ich damals kennengelernt habe.
Warum funktioniert der Fußball so gut als Brückenbauer?
Wenn man auf den Fußballplatz kommt, hat man den Kopf frei, man lässt Stress und Sorgen erstmal zurück. Daher funktioniert dort die Kommunikation einfach besser. Man hilft sich gegenseitig und ist nicht allein. Ich habe meine Mitspieler um Rat gebeten, wenn ich Schwierigkeiten mit Behörden hatte oder wissen wollte, wie das Leben in Deutschland funktioniert. Man kann Erfahrungen teilen und hat nicht nur einen, sondern 25 Ansprechpartner im Kader. Man profitiert also von 25 Möglichkeiten und 25 Erfahrungen. So kommt man auch zu besseren Lösungen.
Sie würden Ihren Weg demnach auch anderen Menschen empfehlen, die nach Deutschland kommen?
Ja, durch den Fußball hast du die Chance, dich zu entwickeln. Man muss es aber auch selbst wirklich wollen und bereit sein, sich zu öffnen und mit anderen in Kontakt zu kommen.

Heute sind Sie in Deutschland zu Hause, kennen sich gut aus und beherrschen die Sprache. Nun können Sie andere willkommen heißen.
Das stimmt. Meine Rolle hat sich gewandelt. Ich will da sein, wenn jemand Hilfe braucht. Ich habe schon 2015 angefangen, mich als Co-Trainer zu engagieren. Damals kamen viele minderjährige Geflüchtete aus Afghanistan. Ich konnte ihnen mit meinen Sprachkenntnissen helfen und sie unterstützen, damit sie sich nicht so fremd fühlen. Über den FC Ente Bagdad finden wir auch heute noch immer wieder zusammen, wenn jemand beim Umzug, bei Papierkram mit Behörden, der Jobsuche oder anderen Dingen Unterstützung braucht. Für mich ist es selbstverständlich, dort anzupacken.
Hinter Ihnen liegt ein beeindruckender Weg. Sie haben eine gute Arbeitsstelle gefunden, sind im Fußballverein eingebunden und Sie haben geheiratet. Sind Sie eine Ausnahme oder spricht man in Deutschland zu wenig über Menschen wie Sie und zu viel über Schwierigkeiten in der Integration Zugewanderter?
Ich denke, es gibt viele positive Beispiele und man sollte mehr darüber sprechen. Ich habe Geschwister in Deutschland, die alle gute Jobs haben und gut integriert sind. Aber es gibt auch Probleme. Viele Geflüchtete würden gerne schneller vorankommen, aber sie sitzen lange in Unterkünften und dürfen nicht arbeiten. Auf der Arbeit entstehen aber viele Kontakte, die es braucht, um sich besser zu integrieren. Wer nur herumsitzt, verzweifelt und verliert das Vertrauen in deutsche Behörden.
Welchen Wunsch haben Sie für das neue Jahr?
Ich bin im Februar Vater geworden, daher gilt mein Fokus der Familie. Ich freue mich auf das, was da kommt. Und im Sommer ist wieder eine Weltmeisterschaft. Die WM 2014 hat mich damals zum Fußball gebracht und mein Leben für immer verändert. Ich wünsche mir, dass es vielleicht irgendwo wieder einen Samir gibt, der dieses Glück hat. Und wenn es so wie 2014 läuft, würde Deutschland auch wieder Weltmeister. Das wäre auch nicht schlecht (lacht).